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CAMEMBERT

Ohne es zu wissen, betrete ich zum letzten Mal das Krankenzimmer meines Vaters. Mit kurzen Unterbrechungen, an denen er bei sich zu Hause sein durfte, liegt er seit 6 Monaten hier - auf der internen Lungenabteilung „Leopold“ des Otto-Wagner-Spitals. 
Die Station für Lungenkrebspatienten.

 Der Kreis schließt sich gewissermaßen - schon mein Großvater lag hier als man ihn den rechten Lungenflügel entfernte - auch wegen dem Rauchen. Gestorben ist er dann aber an einem Hinrschlag. Vermutlich der Grund warum mein Vater weiterrauchte, er dachte wohl dass sein Vater nicht an den Zigaretten zu Grunde ging.




Die Gänge sind weitestgehend leer, nur vereinzelt sieht man jemanden - wenn, dann zeitungslesend - im Rollstuhl - die Sauerstoff-Flasche im Schoß. Auch das Schwesternzimmer wirkt verlassen, als wüssten Sie, dass man für die Patienten hier nicht allzu viel machen kann. Wenn es was zu tun gibt, dann gehts ans Eingemachte.

 Es ist ein kalter Schneeregen-Tag in Wien. Tage an denen die Stadt im Matsch versinkt - kalte Füße überall.


Beim Betreten des Pavillons muss ich wieder erstaunt schmunzeln, über die „Bettenschieber“. Jenes Personal, dass Patienten von der Station zu den diversen Untersuchungen bringt. Sei es im Rollstuhl oder im Bett. Ich glaube es sind durch die Bank serbische Gypsies die diesen Job hier ausführen. Nämlich Lungenkrebspatienten, oder das was von ihnen übrig ist, von A nach B zu bringen. Und durch die Bank sind sie alle Raucher - Marlboro Raucher. An der Lungenkrebsstation Österreichs. 
Sie leben davon Todkranke Ex-Raucher herumzuführen, sehen aber keinen Anlass selbst damit aufzuhören - sehr wienerisch.


Ich hatte mich mit meiner Schwester in Sachen Besuchszeit abgesprochen. Sie ist von 15.30 - 17.00h bei ihm, ich von 17.00 - 19.00 Uhr. Damit er länger was davon hat. 

Als ich das Zimmer betrete verabschiedet sich meine Schwester gerade von unserem Vater.

Sie sagt „Ich hab dich lieb“ und hält seine linke Hand in Ihren. Kaum hörbar, flüsternd, erwidert mein Vater „Ich hab dich auch lieb“ - es gibt mir einen Stich. 
Meine Schwester begrüßt und verabschiedet sich gleichzeitig von mir - mit Tränen in den Augen. Sie muss hier jetzt leider schnell raus.





Die Augen meines Vaters bewegen sich langsam, dennoch erkennt er mich und lächelt vorsichtig. Vor mir liegt die knöcherne Version meines Vaters - 50kg bei einer Größe von 1,86m - ein Hauch, ein Stück.

 Ich frage ihn wie es geht.



A: „ Najo, siechst eh… Zum Glück homs ma was gengan Durchfall gebn.“

N: „Und was sagen die Ärzte?“


A: „…Net vü…Wos mocht die Orbeit….?“


N: „ Im Hotel hab ich gekündigt - hab was in Sachen Kameramann in Aussicht, mal schauen“

A: 
„…Hm…gut…“


N: „ Brauchst du irgendetwas, kann ich was besorgen? Milchschnitten oder Obstgarten oder irgendetwas?“


A: „Na, die Olga hot ma vurhin olles Megliche brocht"


N: „ Ah, Ok“


A: „ Bist im Stress?“


N: „Nein, gar nicht. Ich geh nachher nur auf ein Konzert - aber kein Stress nicht.“


A:“ Vasteh - für die Vici wors schwer jetzt, oder?“


N: „ Mhm…glaub schon“




Ich sitze am Krankenbett meines Vaters. Die Ohnmacht, ihm nicht helfen zu können ist kaum auszuhalten. Der Gedanke, dass er mit dem Tod ringt, kommt mir nicht in den Sinn. Viel zu erschöpft liegt er da. Er schafft das trotzdem. Er wird zwar nur mehr mit Sauerstoff-Flasche unterwegs sein - aber er überlebt den Scheiss.


Er ist viel zu schwach um eine Unterhaltung zu führen, alle paar Sekunden fallen seine Augenlider herunter. Alle paar Sekunden kämpft er sie wieder hinauf. 



Es klopft an der Tür, eine Krankenschwester mit dem Abendessen:




K: „Na Herr Bertotti, was derfs sein? A Gsöchtes mit Senf und an Brot oder nur a Brot mit ana Butter und an Stickl Camembert?“


Er zu mir - flüsternd:
 „….Camembert…“


N: Er nimmt den Camembert mit Brot“


K: „ Alles klar, soi ma den Camembert scho schneidn und aufs Brot aufelegn?“


N:“ Nana, das mach ich schon - früher hat er mich gefüttert, jetzt dreh ma des um“




Die Krankenschwester übergibt mir den Teller und ich mach mich an die Arbeit den Camembert und das Brot mundgerecht, kleinzukriegen. 
Mein Vater meint er habe keinen Appetit.



So sitze ich also da, meinen Vater fütternd - der für ein Stück Brot mit Camembert 10min benötigt.


Nein, er wird nicht sterben - das ist der Beginn seiner Genesung, ganz weit unten halt.



Als er fertig ist, ist gut eine Stunde vergangen. Ich trage das Geschirr zurück und setze mich wieder an das Bett. Mein Vater hat die Augen wieder geschlossen. Ich setze mich näher und halte seine Hand. Ich halte die Hand meines Vaters. Mir kommen die Tränen. Ich wische sie weg, damit er es nicht bemerkt. Wenn jemand weinend an deinem Krankenbett sitzt ist das nicht wirklich was aufbauend - optimistisches.


Wir sitzen eine Weile so da. Es wäre Zeit zu gehen, zu dem Konzert.

Ich zögere, halte die Situation nur schwer aus - will ihn aber nicht verlassen, wer weiß? Er wird nicht sterben, das ist nur der Beginn seiner Genesung. 
Ich halte seine Hand; 



N: „Papa, ich werd jetzt schön langsam gehen“


A: „ ……..“


N: „ Papa, ich werd jetzt dann gehen“


A: „ …..Ok…“


N:“ Die Olga kommt eh morgen und übermorgen - wir kommen am Sonntag wieder und bringen dir deinen Osterhasen!“


A: …..Mhm….Sonntag“




Ich halte weiterhin seine Hand und küsse ihn auf die Stirn - ich schmecke seinen Schweiss.




"Ich hab….“
 Meine Kehle schnürt sich zu. :“…ich… hab dich lieb…OK!?“


A:“ ….Mhm…“


N:“ Dann bis Sonntag, Bussi"


A:“….Baba!…“


N:“ Baba!“




Ich stehe auf von meinem Sessel, halte weiterhin seine Hand, küsse sie. Vorsichtig lege ich seine Hand auf das weiche Samt zurück, lass los und gehe langsam Richtung Tür. 
Schau noch mal zu ihm. Nein, er schafft das - er schafft`s einfach.




Ich laufe die Stufen hinunter zum Ausgang. Bin da, greife in meine Hosentasche, Jackentasche.

Da sind sie. Nehme eine heraus, führe sie zum Mund - Feuer - Frei - Zieh´ an - Inhaliere - Entspannung!




Es waren die letzten Minuten, die ich meinen Vater lebend gesehen habe. Er verstarb am folgenden Ostersonntag um 15:30h, alleine in seinem Bett. Er wurde 57 Jahre alt.


ree

 
 
 

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