DER MALER AUS ZAIRE
- Nicolas Bertotti

- Oct 27
- 8 min read
Frisch im Dienste der guten Sache & der Überzeugung jedem behilflich sein zu können, saß ich drei bis vier Nächte der Woche in meinem 3x2 Meter großen Cockpit der Menschlichkeit. Ein enger Raum, ausgestattet mit einem Schreibtisch, darauf ein Computer samt Bildschirm. Ein zerschlissener Bürosessel, dessen Höhenverstell - Vorrichtung im untersten Segment stecken blieb, dient als Thron für mein skoliosegebeuteltes Rückgrat.
Zettelwerk und Aktenordner, Dienstpläne und ausgetrocknete Bic-Kugelschreiber, Augenzeugen vergangener Zeiten, als das Weiß an den Wänden noch weiß war. Rechts vom Schreibtisch flimmerte ein 7 Zoll Bildschirm in graustufigem Schwarz-Weiss. Er übertrug in einem dreigeteilten Echtzeit-Bild ohne Ton:
- Den Eingangsbereich des Hauses
- Den Stiegenaufgang zu den Wohnbereichen
- Den Stiegenaufgang aus einem anderen Winkel
Diese Videoüberwachung, die ich zuerst sehr kritisch betrachtete, diente vor allem um Gäste vor deren Eintritt zu sehen. Da es doch immer wieder vorkam, dass jemand aufgrund seines Verhaltens Hausverbot hatte. Diese schlimmen Finger kannte man meist schon & mittels Videoschleuse konnte man diese recht rasch abweisen. Bei mir dauerte es ca. 8 Monate bis ich Leute konsequent abwimmeln lernte - bis dahin hab ich ob meiner uferlosen Sozialader immer wieder das eine oder andere ungute Arschloch trotz Deppertsein reingelassen.
Als mich Bewohner selbst baten diese oder jene Person nicht mehr hineinzulassen konnte ich damit besser umgehen.
Ein anderer wichtiger Vorteil der UNHCR-zertifizierten Big Brother Maschine war es ungeladene Gäste des Polizeiapparates und deren Aktionen mitzubekommen. In der Zeit zwischen 24-6 Uhr war es uns Nachtdienstmitarbeitern gestattet in den Räumlichkeiten des Tagesbüros auf einem quietschendem Campingbett zu schlafen. Beliebte Jagdzeit von Drogenfahndern & der Fremdenpolizisten. Da diese ihr Erscheinen eher nicht anmelden, kam es hie und da vor, dass sich ein halbes Dutzend abgefuckter Drogenfahnder auf „Bimbojagd“ begaben & Bewohner verhafteten. Da auch dies von der Polizei meist nicht gemeldet wurde - war es schließlich nicht unwichtig vor Dienstübergabe die Aufzeichnung der letzten Nacht durchzusehen um einerseits etwaiges Fehlen von Personen abzuklären und andererseits etwaiges Fehlverhalten der Exekutive festzuhalten.
Im Cockpit gab es zum Eingangsbereich hinaus ein Fenster, sowie eine dem Stiegenhaus zugewandte Tür mit Sichtglas. An dieser Tür kamen alle BewohnerInnen vorbei. Manche huschten - andere gingen vorbei, winkten und grüßten. Manche kamen mit Bitten & Fragen herein oder um einen kurzen Smalltalk zu führen, und einige besuchten mich um mehr oder weniger tiefergehende Gespräche zu führen.
Da ich diese Tür Anfangs als zu starke Grenze empfand, öffnete ich diese jeweils für die gesamte Zeit, die ich bis zum Schlafengehen darin verbrachte. Nicht genug an psychologischen Tricks, machte ich aus dem Cockpit eine Art Worldmusic DJ Show & spielte Musik aus allen mir bekannten Herkunftsländern der BewohnerInnen. Mein erster Schritt in die echte Welt. Die Resonanz gab mir recht. Ich lernte über die Musik ein gewaltiges Sprachspektrum kennen: Pashto, Farsi, Urdu, Russisch, Hindi, Somali, Arabisch, Englisch, Ukrainisch, Serbo-Kroatisch, usw.
Und die jeweiligen BewohnerInnen übersetzten mir teilweise Passagen des Dargebrachten. Musik ist, wie ich bemerkte, generell eine wichtige Verbindung zu den Wurzeln der Entwurzelten. Oft ein schmerzhafte, melancholische- oft eine freudenspendende, schöne Erinnerung.
Alexei, ein muskulöser Bewohner aus der Russischen Föderation, trat einmal mit der Bitte an mich heran, seinen Mp3-Player mit Musik von Rammstein zu befüllen. Er liebe Rammstein, es gäbe auf der ganzen Welt keine bessere Band. Er könne seine Sorgen manchmal vergessen wenn er durch die Straßen von Wien spaziert und Rammstein höre. Ich nahm also meine Festlatte in den nächsten Dienst mit, setzte mich mit Alexei hin & überspielte alle Rammstein Alben auf seinen Player. Dazu kamen noch alle Alben seiner zweiten Lieblingsband, Metallica, klar.
Während wir hunderte Titel transferierten, sprach Alexei von seinen Sorgen - als Mensch mit russischem Pass habe er, der laut Bundesasyl-Amt defacto keinen Fluchtgrund laut Genfer- Konvention hat, keine Aussicht in Österreich zu bleiben. Er fiel somit vor einiger Zeit aus der Asyl-Grundversorgung und wird nur übergangsweise hier wohnen. Er ist um die dreißig, die Haare kurz rasiert, trockene, spröde Haut, Hände - verfurcht und vernarbt, kräftig und dennoch kindlich, eine Biographie, festgehalten auf seiner Haut.
Hätte er mir nicht erzählt dass er eine Substitutionsbehandlung durchläuft, ich hätt ́s nicht gecheckt. Durch seine sportliche Statur, eigentlich die eines Boxers, macht er einen recht vital- gesunden Eindruck. Wir sind beim Befüllen seines Players - er erzählt von seinen letzten Wochen. Da er keinen Anspruch auf Grundversorgung hat, hat er als Nicht-EU-Bürger grundsätzlich auch keinen Anspruch auf ein Bett in Häusern der üblichen Trägerinstitutionen. In den warmen Monaten schläft er in den Parks - doch jetzt wo der Winter kommt, eigentlich schon da ist, ist es in den Parks zu kalt.
Alexei hat daher eine recht kreative Art entdeckt zu überwintern und diese schon zum zweiten Mal angewandt:
Er schlägt mit einem Stein die Scheiben beliebiger Autos ein. Hat er für seinen Geschmack genügend Schaden angerichtet, lässt er von den Autos ab und wartet unter dem Geheul der Alarmanlagen die Ankunft der Polizei ab, um festgenommen, noch besser verhaftet zu werden. Vorteil: Warme Unterkunft und regelmäßiges Essen.
Eine weitere Art mit den Bewohnern in Kontakt zu treten, ist es Raucher zu sein. Ähnlich dem Leben im Gefängnis, sind Zigaretten unter rauchenden Bewohnerinnen eher als Luxusgut anzusehen. Bei 40€ Taschengeld im Monat nicht weiter verwunderlich. Trotz meines bescheidenen Lohns, war es nicht nur der eigenen Sucht wegen gut, Tschik bei sich zu haben. Mit der Zeit entwickelte sich mit einigen Bewohnern ein Ritus - auf eine Zigarette runter zum Milchgesicht. In Sachen Kommunikation ein Icebreaker. So auch mit Charles.
Charles wurde in Zaire - heute „Demokratische Republik Kongo“, geboren. Ein Land, Ein Schmerz. Seit über 100 Jahren. Ein Schrank von einem Mann. Sein kräftiger Oberkörper täuscht über ein nicht unwesentliches Handicap hinweg - ihm fehlt der linke Unterschenkel. Zerfetzt von einer Landmine, irgendwo in den blutgetränkten Wäldern des Kongo. Die fehlende Stabilität der Beine, machte er durch intensives Training seines Oberkörpers wett. Er hatte die beeindruckende Statur eines Gorillas, doch seine fragil-primitive Prothese erleichtert ihm das Gehen nur bedingt.
Ab und an trank er Bier, um die immer wieder aufkehrenden Phantomschmerzen zu lindern wie er meinte - und um zu vergessen. Genau das Gegenteil passierte. Das Bier betäubte nicht, es bediente sein Kopfkino nur umso mehr. Und so kam er dann runter zu mir, um eine Zigarette zu rauchen, und aufgebracht, wild gestikulierend zu erzählen. Immer die selbe Geschichte, immer in der selben Intensität:
Er war 11 Jahre alt als Sie kamen und ihn mitnahmen. Die? Die Rebellen. „Wenn du nicht tust was wir dir sagen, schlachten wir deine Mutter, deine Schwester und deinen kleinen Bruder ab“. Der Vater? Schon lange verschleppt. Weinte er, setzte es Prügel. Hinterfragte er, setzte es Prügel. Sein Auftrag: Dörfer zu überfallen und Menschen zu töten. 11 Jahre alt. Sie gaben ihm eine Kalashnikov. Alkohol und Amphetamin gegen die Angst.
Während er erzählt, verzerrt sich sein Gesicht zu einem Kaleidoskop der Schmerzes, in seinen Augen ist der liebenswürdige 11-jährige zu sehen.
Und, wie ging es weiter? „We went to those villages, and then tatatatatatata... Kill,kill,kill. They burned it down, raped the Woman - killed the Men with machetes. Heads up. We just killed them all!“
Seine vor Kraft strotzenden Hände zittern. Diese beeindruckende Erscheinung von einem Mann ist nach wie vor 11 Jahre alt. Auf meine Frage hin, wie viele Menschen er wohl getötet hätte sieht er mich fragend an. „I don ́t know how much - too many“
Wenn er fertig erzählt hatte, war er meist richtig erschöpft. Er durchlebte augenscheinlich alles nochmal im Schnelldurchlauf und hatte danach meistens Kopfschmerzen. Vom Bier.
Doch eines Abends fragte er mich dann wie es mir ginge - „Austrian people also have problems!“ Eigentlich ein Wahnsinn.
Ich erzählte, dass ich gerade in eine neue Wohnung gezogen bin und gerade dabei war mich einzurichten. Ausmalen steht nun am Programm. Wie besessen meinte er, dass er mir dabei auf jeden Fall helfen würde. Er hat schon so einige Wohnungen renoviert und restauriert. Er müsse mir unbedingt dabei helfen, ich sei so ein netter Typ.
Eigentlich wollte ich meine erste Wohnung, die man auch wirklich als solche bezeichnen darf, mit meinen eigenen Händen wohnfreundlich machen. Wegen der Psychologie und so. Doch er bestand felsenfest darauf.
Ich hatte de facto keine Wahl und irgendwie fand ich den Gedanken, mit dem einbeinigen Charles aus dem Kongo meine Wohnung in Wien Penzing auszumalen derartig skurril, dass es einfach so sein müsse.
Ich bestand jedoch darauf, dass ich ihn für seine Dienste auch bezahlen will. Das wiederum wollte er nicht - wir einigten uns auf „We will see!“. Ich gab ihm also meine Adresse und Telefonnummer, „Wir sehen uns morgen“.
Ich besorgte die nötigen Utensilien und wartete in meinem neuen Heim auf ihn. Bei unserer Verabschiedung am Vorabend meinte er, dass er nun ein Moped habe und damit zu mir kommen werde. Ich druckte ihm noch einen Anfahrtsplan aus, damit er zu mir findet. Zwei Minuten nach vereinbartem Treffpunkt ruft er an:
C: „ Hey Nico, i ́m here - no i ́m not here. i ́m close to you - i think.“
N: „ Allright, where are you“
C: „I ́m on street“
N:“ Ok, which street?“
C: „This big one“
N:“ Aha, hmmm...Can you say the name of the street?.“
C:“ It ́s big street - don ́t know“
N:“ Do you have the plan which i printed for you?“
C:“No...“
N:“ Is there some company or store yo can say?“
C:“Ahh...“
N:“...........“
C:“ Yes there is the Cinema“
N:“Cinema? Which cinema“
C:“ Gloria.... Cinema Gloria“
N:“ Gloria? What do you.... Gloria? Where are you?“
C:“ Cinema Gloria“
N: „ Ahh, Gloriette - you mean the Gloriette Cinema“
C: „ Yes, Gloria - Gloria Cinema“
N:“Ok, then drive a few hundred meters straight ahead till you see a shop that ́s called Video- Ring. There i´ll pick you up!“
C:“ Ok, Ring-Ring“
N:“ Yes, Video-Ring“
Ich machte mich also auf den Weg um Charles beim Video-Ring auf der Linzerstraße abzuholen. Eigentlich hätte er zwei Minuten später da sein müssen, für diese kurze Strecke, doch ich wartete - den entgegenkommenden Verkehr beachtend. Plötzlich hörte ich den Moped-typischen Lärm, der zwar aus der richtigen Richtung kam - nur Charles war nicht zu sehen. Denn: Charles kam an seinem Moped - mit gemütlichem Tempo - am Gehsteig fahrend in meine Richtung.
Ich musste lauthals Lachen ob dieser fabelhaften Szenerie. Da fährt dieses schwarze Mannsbild aus dem Kongo als wäre nichts, gemächlich mit seinem Moped am Gehsteig der Linzerstraße. Fußgänger drehen sich nach ihm um, schauen verdutzt oder zeigen ihm den Huscher. Er jedoch, nur fokussiert sein Ziel zu erreichen, zeigt mir schon von 50 Metern Entfernung seine strahlend weißen Zähne und grinst.
Sein klackerndes Fahrgerät bleibt vor meinen Füßen stehen, er steigt ab und umarmt mich mit seinen mächtigen Armen. Charles entschuldigt sich für die Verspätung, aber der „Verkehr“ sei ein Wahnsinn gewesen. Wieder muss ich lauthals lachen. Vergnügt mache ich ihn darauf aufmerksam, dass es strengstens verboten sei in Wien - nein in Österreich, nein in Europa mit einem motorisierten Fahrzeug am Gehsteig zu fahren.
Wer mit Genozid aufwächst sieht die StVO ein wenig lockerer.
Charles lies es sich auch nicht nehmen die letzen Meter zu meiner Wohnung, neben mir am Gehsteig fahrend zu bestreiten. Dort angekommen, war der Blick meiner nach bestem Wissen und Gewissen auf wienerisch zwangsassimilierten, serbisch-stämmigen Hausbesorgerin einfach nur unbezahlbar.
Sonst immer einen belehrenden Spruch auf den Lippen, war ihr der Anblick meiner Einer im Schlepptau mit einem gewaltigen schwarzen Mann der am Gehsteig Moped fährt einfach zu viel.
In der zu bemalenden Wohnung machten wir uns dann sogleich an die Arbeit. Charles nahm zwecks Bequemlichkeit seine Prothese ab und machte sein Ding. Da steh ich nun. Mit meinem Freund aus Schwarzafrika.
Vom konservativen verlegen der Schutzfolie, damit die Möbel nicht mit Farbe bekleckert werden, hält er noch weniger als ich. Vodoo Ausmalerei - mit einem Einbeinigen, in einer
Wohnung die offiziell nur von Bediensteten der Wiener Stadtwerke bewohnt werden darf. Herrlich.
Zwei Stunden später waren wir fertig, war Charles fertig, von Kopf bis Fuß - in Farbe gesprenkelt. Wir stießen mit einem Dosenbier auf die erfolgreiche Zusammenarbeit an und ich zwang ihn dazu die 50 Euro Aufwandsentschädigung anzunehmen. In Eile, da er noch einen Termin mit seinem Rechtsberater im Terminkalender stehen hatte, verabschiedete er sich - wir sehen uns sowieso Abends, wenn ich wieder Dienst hab. Bis dahin hatte ich noch ein paar Stunden Zeit die Möbel von den Farbresten zu befreien.


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